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Eric van Helden

02 Das Trainingszentrum

Aktualisiert: 29. Sept.

Aha, da waren unsere neuen Kandidaten. Die Gruppe war recht übersichtlich. Ich ließ meinen Blick unauffällig von links nach rechts schweifen. Keine bekannten Gesichter. Auch die Altersstruktur schien bunt gemischt zu sein. Jüngere Anwärter hatte die Heldenakademie derzeit nicht. So mussten auch die letzten Altersbeschränkungen fallen. Ich ging noch einmal kurz das heutige Programm im Kopf durch und ergriff dann das Wort.

“Meine Damen und Herren, haben Sie vielen Dank, dass Sie hier, heute, so zahlreich, erschienen sind. Darf ich Sie in unserem hochmodernen Trainingszentrum der Helden-Dachorganisation auf dem Planeten Andars begrüßen. Ich darf Sie bitten, Ihre Scheu abzulegen. Sie werden heute, mit mir, eine spannende Zeit verbringen, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern! Wir werden gemeinsam eine Antwort auf die alles entscheidende Frage finden… Aber deshalb haben Sie doch zu uns gefunden, nicht wahr?”

Spätestens jetzt, hatte ich mir vollends ihre Aufmerksamkeit verschafft. ‘War es schon wieder soweit?’, fragte ich mich. Schließlich war es nach irdischer Zeitrechnung gerade mal nur ein paar Monate her, seit ich in meiner Rolle als Trainer die letzte Selbsthilfegruppe, hier an diesem Tisch, begrüßt hatte.

Ich hielt inne - was war das? In der entstandenen Sprechpause war nun ein gedämpftes, gleichmäßiges Summen zu hören. Unser Schulungsraum befand sich in unmittelbarer Nähe zu der Kammer, in der sich das Herzstück dieses technischen Wunderwerks verbaut war, das es vermochte, mittels angeregter Photonen, Energie in Materie umzuwandeln. In den kleinen und großen Hallen des Trainingszentrums ließen sich damit ganze Szenen oder begehbare Räume zum Leben erwecken, mit denen man frei interagieren konnte. Kein Wunder, dass man für die Nutzung dieser Hallen Wochen im Voraus ein Zeitfenster buchen musste!

Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe, aus freundlich dreinblickender Menschen gemischten Alters, starrte mich unverhohlen und erwartungsvoll an. Sie alle bewegte die eine innere Frage: Bin ich bereit für den nächsten Schritt? Na ja, um ehrlich zu sein, es war vielmehr ein Sprung, als nur ein Schritt - ein gewaltiger Sprung, wenn man rein physikalisch die Entfernungen zwischen der Welt Andars und der Erde misst, der Ort, wo diese Helden erneut Heldentaten bereit waren, zu vollbringen. Glücklicherweise, gestaltete sich der Transport von hier nach dort viel entspannter, als man es für möglich gehalten hätte. Und eines war immer garantiert: Nach dem Sprung landete man immer weich, auf seinen Füßen!

“Dann wollen wir mal!”, kündigte ich voller Zuversicht an. Vertraute Rituale können auch dazu dienen, peinliche Momente zu überbrücken: Sich näher zu kommen, sich zu öffnen und Vertrauen zu fassen gehörte sicherlich zu den schwierigeren Übungen dieser Trainingseinheit.

Mein erster Gast ergriff entschlossen das Wort: “Hallo, ich bin Nina!”

Ein Chor von Stimmen antwortete wohlwollend: “Hallo Nina, schön, dass Du hier bist.”

Das sollte jetzt eine ganze Weile so weiter gehen. Mein Geist schweifte aus reinem Selbstschutz ab. Ich betrachtete die Menschen, die vor mir saßen ein wenig genauer. In einigen Gruppen gab es Wiederkehrer, Individuen, die sich mit der Antwort auf die Frage: ‘Bin ich überhaupt so weit?’ noch ein wenig schwertaten. Es gab auch jene, die sehr wohl bereits eine Entscheidung getroffen hatten: “Mich ziehen keine zehn Pferde mehr auf diese verdammte Erde, zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren!”. Aber sie kamen dennoch, weil sie meine Veranstaltung liebten!

Als ich bemerkte, dass die Einführungsrunde vorbei war, dachte ich mir: ‘Nun gut, gehen wir es an.’ und zwitscherte mit salbungsvoller Stimme: “Woher wisst ihr, dass ihr eine innere Entscheidung getroffen habt und springen wollt?”

Heute schien kein Wiederkehrer anwesend zu sein, denn keiner von ihnen klammerte sich an seinem Plastikstuhl mit schelmischem Grinsen, weil er vor Erregung sich kaum noch halten konnte, die Antwort in die Mitte zu rufen. Ganz im Gegenteil, es herrschte Stille und fragende Blicke. Einige lenkten ihre Aufmerksamkeit demonstrativ auf irgendwelche, nichtssagenden Details.

“In Ooordnung. Probieren wir es dann mit einer leichteren Frage: Wann haben Sie das letzte Mal gespielt?”

‘Oh nein, Schlimmer, geht’s immer’, das drückten einige Gesichter aus, in die ich blickte. Doch dann erinnerten sich jene, dass sie nicht mehr auf der Erde waren und sich gerade wieder viel zu sehr mit ihren alten Rollen und Mustern vom letzten Erdenbesuch identifizierten.

“Nun ja”, meldete sich plötzlich eine alte Dame zu Wort, “bei meiner letzten Mission musste ich, in meinem hohen Alter, Trompete spielen, um einen kleinen Menschen zu motivieren, dasselbe zu tun. Wissen Sie, ich war als Oma-Heldin im Einsatz, aber ganz unter uns, das Blasen fiel mir nicht ganz leicht. Meinen Sie diese Art von spielen?”

Nein, tat ich nicht, musste ich klarstellen.

“Ich lade Sie heute ein, in einer unserer aktivierten Licht-Materie Hallen Verstecken zu spielen, ganze 30 Minuten! Sie kennen doch alle das Spiel, oder? Dabei bilden Sie bitte zwei Gruppen. Jeder von Ihnen bekommt eine Karte des aufgebauten Geländes ausgehändigt. Es ist sehr abwechslungsreich, sie werden sehen. Es gibt mehrstöckige Gebäude, eine Tiefgarage und sogar ein Geheimgang. Wenn jemand gefangen wird, wechselt er bitte die Gruppe. So wird es für die Gesuchten mir der Zeit immer schwieriger.”

Und schon drängte sich die Beute durch den Eingang der Halle und eilte davon. Sie hatte nur einen kurzen Zeitvorsprung, bis die Jäger ihnen auf den Fersen waren.

Nach genau 30 Minuten war dann alles vorbei. Wir versammelten uns am Ausgang der Halle. Ich sah lauter strahlende Gesichter. Einer aus der Fängergruppe hielt triumphierend ein schnurrendes Kätzchen in die Höhe - die Nebenquest war wohl somit auch erfüllt worden. Der letzte nicht gefasste, beachtlich schnaufende Spieler grinste mich und seine Verfolger zufrieden an. Es gab also nur Gewinner!

Ich sprach und alle hielten inne: “Spürt ihr sie? Verweilt. - Lasst sie ein wenig wirken. - Diese Erregung. - Dieses Kribbeln. - Das, ist die Spielfreude! - Wenn ihr diese beim Versuch der Beantwortung eurer inneren Fragestellung verspürt, dann könnt ihr auch sicher sein, dass ihr die Entscheidung bereits getroffen habt, euch als Held für eure nächste Mission zu melden.”

Und mit diesen Worten war die Sitzung beendet.


Diese Episode wurde explizit für ‘Die Spielfreude’ verfasst.

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